Polarität, Phase und Delay
Die Wellenform eines Audiosignals weist ein positives Signal über der Nulllinie und ein negatives Signal darunter auf. Manchmal sieht die Wellenform symmetrisch aus, manchmal asymmetrisch. Normalerweise spielen Form und Polarität der Wellenform keine Rolle, bis wir beginnen, die Signale zu mischen, d. h. wenn wir Signale von zwei (oder mehr) Mikrofonen haben, die wir kombinieren oder vielleicht für die räumliche Abbildung verteilen möchten. Dann ist es wichtig, die Begriffe Polarität, Phase und Delay zu verstehen. In diesem Artikel werden die drei Begriffe im Hinblick auf Mikrofontechniken und -technologie beschrieben.
Polarität von Mikrofonen
Konventionell muss die Polarität eines Mikrofons bekannt sein. Welche Polarität hat das ausgehende Signal im Vergleich zum eingehenden Signal? Dies wird durch internationale Standards beschrieben. Die Polarität wird manchmal durch einen farbigen Punkt auf dem Mikrofonstecker angezeigt, wenn durch eine Bewegung der Membran nach innen eine positive Spannung geliefert wird. Bei symmetrischen XLR-Anschlüssen ist festgelegt, dass Pin 2 immer das gleichphasige Signal des einwirkenden Schalldrucks darstellt. Ein steigender Druck auf die Membran, der die Membran nach innen bewegt, sorgt also für eine steigende positive Spannung an Pin 2. Dies gilt bei symmetrischen Kondensatormikrofonen für professionelle Audiotechnik (nicht unbedingt für Messmikrofone), während sich dynamische Mikrofone etwas anders verhalten (siehe weiter unten in diesem Artikel).
Polaritätsumkehr
Bei Polaritätsumkehr wird einfach der negative Teil in einen positiven und der positive Teil in einen negativen Teil umgewandelt. Das Signal wird invertiert („INVERT“ ist eine Funktion vieler DAWs). Oder, mathematisch ausgedrückt, wird das Signal mit „-1“ multipliziert. Siehe Abbildung 2.
Manchmal wird gesagt, dass die Phase um 180° gedreht ist. Dies ist jedoch nicht ganz korrekt. Eine Phasenverschiebung erfordert eine Zeitverschiebung, d. h. eine Verzögerung, die beim Umkehren der Polarität nicht auftritt. Andererseits ist das Signal nach der Invertierung nun um 180°
Abbildung 2. Das untere Signal ist eine invertierte Version des oberen.
Bei vielen Mischpulten und Vorverstärkern (sowohl hardware- als auch softwarebasiert) kann die Polarität des Eingangssignals in jedem Kanal geändert werden. Der griechische Buchstabe φ [kleines Phi] auf der Taste kennzeichnet die Funktion der Invertierung. Manchmal sieht er aus wie der Buchstabe Ø.
Abbildung 3. Links: Physischer Kanalzug mit Polaritätsschalter (Solid State Logic). Rechts: DAW-Mischpultkanäle; in diesem Fall wird der Buchstabe Ø gespiegelt, wenn der Polaritätsschalter aktiviert wird (Adobe Audition).
Polarität der hinteren Keule des Mikrofons
Richtmikrofone wie Supernieren, Hypernieren oder Achtercharakteristik sind an ihren hinteren Keulen zu erkennen, die aus dem Polardiagramm abgelesen werden können. Diese Mikrofone nehmen Schall von vorne und in unterschiedlichem Maße auch Schall von hinten auf. Die Polarität des von hinten aufgenommenen Schalls ist jedoch invertiert. Die Ursache hängt hauptsächlich damit zusammen, welche Seite der Membran zuerst vom Schall getroffen wird. Ein frontal einfallender Impuls bewegt die Membran in eine Richtung, während ein von hinten einfallender Impuls desselben Signals die Membran in die entgegengesetzte Richtung bewegt.
Abbildung 4. Ausgangssignal eines Supernierenmikrofons für verschiedene Schalleinfallswinkel (0°, 90°, 127°, and 180°).
Abbildung 5. Polardiagramm von Superniere, Hyperniere und Acht mit markierter Polarität „+“ oder „-“.
Phase
Die Phase kann nur ausgedrückt werden, wenn die jeweilige Wellenform mit einer Referenz oder einer anderen Wellenform verglichen wird – und zwar bei einer bestimmten Frequenz. Die Phasenverschiebung entsteht durch eine zeitliche Verschiebung, eine Verzögerung. Die zeitliche Verschiebung kann durch unterschiedliche Entfernungen zweier Mikrofone zu einer Schallquelle entstehen. Oder durch die Anwendung einer Delay-Line. Oder durch die Physik eines bestimmten elektrischen Filters.
Normalerweise beschreiben wir eine Phasenverschiebung durch den sogenannten Phasenwinkel im Bereich von ±180°. Manchmal ist der Winkel größer und wir beschreiben die Phasenverschiebung eher als Delay bei der gegebenen Frequenz.
Abbildung 6. Zwei Sinuswellen (1 kHz) mit einer Phasenverschiebung von 90° (0,25 ms).
Abbildung 7. 2-Kanal-Breitbandrauschen, unterer Kanal um 0,25 ms verschoben (delayed)
In einem komplexen Audiosignal, das viele Frequenzen enthält, beeinflusst die Phase der einzelnen Frequenzkomponenten die resultierende Wellenform. Unten sind zwei Signale dargestellt, die fünf Frequenzen enthalten (eine Grundfrequenz und vier Obertöne). Stellen Sie sich vor, die fünf Frequenzkomponenten werden „heruntergemischt“ oder zur endgültigen einzelnen Wellenform summiert.
Auf der linken Seite beginnt jede Frequenzkomponente bei 0°, auf der rechten Seite beginnt jede Frequenzkomponente bei 90°. Wenn die Grundfrequenz 1 kHz beträgt, beträgt die zweite Harmonische 2 kHz, die dritte 3 kHz usw.
Die Dauer einer Periode von 1 kHz beträgt 1 ms (1/1000 s). Eine Phasenverschiebung von 90° (ein Viertel einer Periode) entspricht einer Zeitverschiebung von 0,25 ms.
Die Dauer einer Periode von zwei kHz beträgt 0,5 ms (1/2000 s). Eine Phasenverschiebung von 90° (ein Viertel einer Periode) entspricht einer Zeitverschiebung von 0,125 ms.
Wie dargestellt, variiert die Zeitverschiebung einer konstanten Phasenverschiebung mit der Frequenz. Darüber hinaus sind die resultierenden Wellenformen sehr unterschiedlich, obwohl sie genau die gleichen Frequenzkomponenten enthalten. (Sie klingen jedoch gleich, wenn sie in einem linearen System wiedergegeben werden, da das Ohr nur in geringem Maße für die Phase empfindlich ist).
Abbildung 8. Zwei Kurven mit jeweils fünf Frequenzkomponenten. Die linke beginnt bei 0° (links) und die rechte bei 90°.
Variable Phasenverschiebung
Bei der Audioverarbeitung treten ständig Phasenverschiebungen auf. Die meisten Equalizer oder Entzerrungsschaltungen können frequenzabhängige Phasenverschiebungen aufweisen. Ein Beispiel ist das Shotgun-Mikrofon 2017. Ein 60-Hz-Tiefpassfilter (Butterworth 3. Ordnung) ist implementiert. Abbildung 9 zeigt den berechneten Phasengang des Filters. Abbildung 10 zeigt den gemessenen Phasengang des Shotgun-Mikrofons 2017 (mit dem eingebauten Tiefpassfilter).
Abbildung 9. Frequenzgang und Phasengang des eingebauten Tiefpassfilters für das DPA 2017 Shotgun-Mikrofon.
Abbildung 10. Phasengang des DPA 2017 Shotgun-Mikrofons mit integriertem Low-Cut-Filter.
Delay
Wie bereits in Abbildung 7 dargestellt, wird das Signal durch ein Delay für einen bestimmten Zeitraum „gespeichert“ und dann wieder freigegeben. Die Ausbreitung von Schall ist auch abhängig vom Medium, in dem sich der Schall bewegt. Beispielsweise ist der Schall in der Luft langsamer als in einem Draht.
Ein elektronisches Gerät, das Audiosignale verzögert, wird häufig in Lautsprechersystemen eingesetzt, damit der Schall gleichzeitig aus verschiedenen Lautsprechern in unterschiedlichen Abständen kommt.
Gruppenlaufzeit
Die Gruppenlaufzeit ist fast dasselbe wie ein Delay. Sie betrifft jedoch nur „eine Gruppe“ von Frequenzen um eine bestimmte Frequenz in einem Audiosignal. Eine Gruppenlaufzeit wird selten absichtlich herbeigeführt, sondern entsteht durch die Verwendung verschiedener elektronischer Schaltkreise.
Phasengang von Mikrofonen
Die Phase eines Mikrofonsignals hängt in erster Linie vom verwendeten Wandlerprinzip ab. Bei modernen Mikrofonen handelt es sich entweder um Kondensatormikrofone oder dynamische Mikrofone.
Der Ausgangspunkt ist:
Das Kondensatormikrofon (Kugel-/Druckempfänger) ist in Phase mit dem akustischen Signal.
Das dynamische Mikrofon (Bändchen oder Tauchspule) ist um 90° verschoben.
Alle Mikrofonmembranen haben eine Resonanzfrequenz (genau wie eine Trommel). Resonanzen können zu Phasenverschiebungen führen. Die Membranresonanz ist jedoch nicht das einzige Resonanzphänomen bei Mikrofonen. Hohlräume zwischen der Membran und dem Korb können ebenfalls einen Einfluss haben.
Abbildung 11. Ausgangssignal vs. Schalldruck. Oben: ein Kondensatormikrofon, unten: ein dynamisches Mikrofon.
Zusammenfassung
Polarität, Phase und Delay sind mehr oder weniger verwandte Begriffe. Wie in diesem Artikel erläutert, gibt es jedoch Unterschiede, die man kennen sollte.